Es lebe der Retrochic!

Dieser Artikel erschien in »Good Times kult! • 02/2021«

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Teja Engel und seine Frau Petra lieben die sogenannte gute alte Zeit. Darüber hinaus können die zwei davon auch prima leben. Denn das Paar aus dem Berliner Stadtteil Reinickendorf hat 1995 eine zündende Geschäftsidee mit ihrer Firma Nostalgic-Art in die Tat umgesetzt, die Geschäftsführer Engel beim Gespräch im Konferenzzimmer des Firmengebäudes mit strahlenden Augen erklärt.

Coronabedingtes Abstand halten ist bei der Konversation partout kein Problem. Denn sämtliche Abteilungen – ob Großraumbüro, Fertigungs- und Konfektionierungsbereich sowie Lager – befinden sich auf stolzen 3750 Quadratmetern Fläche. Der Sitz des mittelständischen Unternehmens mit aktuell knapp 50 Mitarbeitern passt ganz hervorragend zum Vintage-Anspruch von Nostalgic-Art. Handelt es sich dabei doch um die historische „Kanonenhalle“ auf dem legendären Borsiggelände im Quartier Tegel.

„Petra und ich sind voll auf dem Retrotrip“, lacht der 51-jährige Sympath, dem man liebend gerne herzlich die Hand schütteln würde, statt ihm einen zeitgemäßen Ellbogen-Stupser zu verpassen. „Meine Gattin und ich sind 1989 zusammengekommen“, sagt der Vater von drei Kindern. „Schnell haben wir bemerkt, dass wir gerne in Nostalgie schwelgen. Und irgendwann reifte die Vision heran, diese Obsession in klingende Münze umzusetzen.“

Der Grundstein für Nostalgic-Art war gelegt. Inzwischen kommen Vintage-Liebhaber an dem Unternehmen nicht mehr vorbei „Retro ist zumindest bei einem Teil der Menschheit schwer im Kommen. Vor allem die Sehnsucht nach Produkten aus jener Ära. Unsere Firma produziert und vertreibt dreidimensional geprägte Schilder, Pillendosen, Kaffeebecher, Wanduhren, Magnete und etliches mehr. Auf allen Produkten finden sich Motive, bevorzugt aus den Fünfzigern, Embleme beispielsweise von Coca-Cola, Harley Davidson, BMW, Persil, um nur einige wenige zu nennen.“

Mitten in der Pandemie „feiert“ die Firma ihr 25-jähriges Jubiläum. „Und wir sind erfolgreich wie niemals zuvor“, freut sich Engel. „Wir verkaufen unsere hochwertigen Blechschilder plus jede Menge anderer Geschenkartikel momentan in mehr als 50 Staaten. Das halten ich für sehr bemerkenswert.“ Mittlerweile ist Nostalgic-Art der größte Anbieter kultiger Retro-Artikel im gesamten europäischen Markt. „Neben der beliebten Handelskollektion, die durch unsere Designer und Produktentwickler entworfen wird“, ist im hauseigenen Katalog nachzulesen, „fertigen wir unsere Artikel auch mit Wunschdesigns für Industriekunden.“
Das Angenehme an dieser Sache ist, schmunzelt Engel, „dass seit Langem die Firmen mit ihren Wünschen an uns herantreten. Weil sich rumgesprochen hat, welche hochwertige Qualität unsere Waren besitzen. Und es gibt kaum eine große Marke, die sich nicht gerne mit unseren Produkten ziert.“

Die Geschäftsidee mit dem Produktprogramm für die Privatkunden funktioniert derart: „Wir stellen uns bei den jeweiligen Firmen vor und fragen an, ob wir ihre Marke nutzen dürfen. Bislang haben wir kaum eine Absage erhalten. Und wir reden an dieser Stelle von Größen wie Mercedes, Persil, Martini, Bacardi oder Vespa. Während ich der Geschäftsmann bin, zieht meine Frau die organisatorischen Strippen hinter dem Geschehen. Das ist gut so, denn sie ist eindeutig die Schlauere von uns beiden“, grinst Engel vergnügt.

Damit die Sammelleidenschaft nie zum Erlöschen kommt, finden sich im Katalog regelmäßig neue Produkte und neue Marken. Neben der Handelskollektion werden für die werbende Wirtschaft und Industrie Artikel gefertigt. „Wir bieten den Konzernen an, ihre Slogans auf Gadgets aus Metall sehr prägnant und ästhetisch in der Öffentlichkeit zu vermitteln“, erklärt Geschäftsführer Engel das Modell. „Ich bin überzeugt, dass unsere Produkte aus der Masse der Werbeartikel positiv herausstechen. Sie sind originell und zur selben Zeit schön. Mit solchen speziellen Geschenken steigern sich die Sympathiewerte der Firmen bei den potenziellen Kunden.“

Damit das Retro-Feeling auch innerhalb der Firma stetig präsent ist, findet man bei Nostalgic-Art viele Mitarbeiter, die selbst von der „guten alten Zeit“ besessen sind. „Wir haben eine sehr geringe Personalfluktuation“, begeistert sich Engel. „Ich glaube, jeder Einzelne arbeitet gerne hier und hat Freude an den vielseitigen Aufgabengebieten. Einigen Mitarbeitern sieht man den Hang zum Thema Retro auch an der Art des Kleidens an. Gut für die Dauerkreativität ist gleichfalls der Altersdurchschnitt. Bei uns werkeln momentan 18-Jährige wie 59-Jährige. Dieser Umstand beflügelt gegenseitig.“

Petra und Teja Engel – übrigens ist auch noch einer seiner beiden Brüder ins Geschehen involviert der andere ist vor vier Jahren ausgeschieden – müssen Tag für Tag hart arbeiten, wie er seufzend gesteht. „Aber weil wir so ein freundliches, eben auch motiviertes Team hinter uns wissen, ist das kein großes Problem. Jeder ist für den anderen da, jeder legt sich für die Grundidee ins Zeug“, sagt Teja Engel. „Wobei man sich uns nicht als Hippiekommune vorstellen darf“, ergänzt der schmale Mann mit der geschmeidigen Art. „Freude und Spaß bei der Arbeit gehören zu unserer Unternehmenskultur, gleichwohl müssen die Zahlen stimmen – da bin ich schon Geschäftsmann. Aber ich lasse mir liebend gerne etwas erklären und mich eines Besseren belehren, wenn ich erkenne, dass jemand Recht hat. Beispielsweise habe ich acht Produkt- und Grafikdesigner. die sich zusammensetzen und über neue Motive diskutieren. Wenn die sich geeinigt haben, kommen sie zu Petra und mir, um die Vorschläge zu unterbreiten. Solche Treffen bringen jede Menge Freude.“

Teja Engel reibt sich immer wieder erstaunt die Augen, dass Nostalgic-Art in einer Zeit, in der Corona wütet und etliche Firmen deshalb dicht gemacht haben, auf eine sehr stabile Geschäftslage blicken kann. „Woanders gibt es Kurzarbeit und Entlassungen, was ich sehr traurig finde“, stellt er konsterniert fest. „Wir hingegen wollen unser Team erweitern und suchen händeringend etwa Kundenbetreuer, Grafikdesigner oder PR-Manager. Diese Diskrepanz ist total verrückt in meinen Augen.“ Zumindest eine vage Erklärung für den durchschlagenden Erfolg seines Unternehmens besitzt der Businessman: „Retro ist eben nicht nur ein Trend, sondern ein Lifestyle!“, behauptet Engel. „Wenn es den Menschen die äußeren Umstände schwer machen, besinnen sie sich gern auf Altbewährtes. Man kauft lieber Altbekanntes – eben Retro – anstatt sich auf Wagnisse einzulassen.

Zudem ist Engel überzeugt: „Etliche Kunden sind begeistert, dass nahezu sämtliche unserer Produkte „Made in Germany“ sind, sie also im eigenen Land erzeugt werden. Dadurch ist ein hoher Qualitätslevel gewährleistet. Unser Werk ist in der Nähe von Nürnberg angesiedelt. Sollte mal ein Artikel beim Versand beschädigt worden sein, kriegt der Kunde anstandslos innerhalb kurzer Zeit Ersatz zugestellt. Ach ja, wir waren seit jeher online-affin. Deshalb hatten wir nie ein Problem damit, dass uns Vertriebsstrukturen weggebrochen sind, etwa wegen Corona. Für eine Firma mit unserer Ware und mit unserem Anspruch ist das Internet geradezu genial. Produkte von Nostalgic-Art gibt es auf allen gängigen Verkaufsportalen oder spezialisierten Anbietern wie z.B. www.vintagevogue.de.

Mittlerweile hat Nostalgic-Art eine feste Kartei von gut 3800 Firmen. „Wir fertigen durchaus für Kunden, die zunächst nicht sonderlich heiß darauf waren, dass sie mit Blechschildern Werbung machen“, grinst Engel. „Aber irgendwann haben auch die mitbekommen, dass Retrolook ein sehr eigenständiges, positives Merkmal in der Außenpräsentation darstellt. Außerdem schätzen sie unseren hohen Standard bei der Fertigung der Ware. All das zusammen ergibt eine große Nachfrage.“
Engel ist überzeugt. dass diese Nachfrage auch nicht abebben wird. „Ich verfüge über keinen Schulabschluss und hatte in der Gründungsphase natürlich auch Zweifel, ob ich es schaffen würde, aus einer ldee ein erfolgreiches Geschäftsmodell zu machen. Durch viel Fleiß und einem gewissen Instinkt ist es uns gelungen, aus dem Thema Vintage einen Standard mit einer sehr großen Fangemeinde zu machen“. Daran wird sich, wenn es nach meinem geschäftlichen Riecher geht, niemals etwas ändern. Jeder Mensch lebt von positiven Erinnerungen. Und auf die kann er zurückgreifen, wenn er etwas Schönes aus der Vergangenheit vor sich hat.“

Michael Fuchs-Gamböck